Diskussion oder Demontage?
Der seltsame Entwurf des BMJV zur Umsetzung des Leistungsschutzrechts für Presseverleger nach Art. 15 der DSM-Richtlinie. Ein Beitrag von Dr. Joachim Jobi, Leiter Politik bei der VG Media.
Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) hat am 15. Januar 2020 einen sogenannten „Diskussionsentwurf eines Ersten Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarkt“ vorgelegt. Unter diesem etwas sperrigen Titel werden neben Regelungen zu Text and Data Mining auch die Verlegerbeteiligung und das Leistungsschutzrecht für Presseverleger adressiert. Auf die vorgeschlagenen Regeln zum Presseleistungsschutzrecht soll hier eingegangen werden. Grundsätzlich geschützt und damit zu lizenzieren sind nach dem Leistungsschutzrecht alle Inhalte der Pressepublikation, es sei denn, es werden nur „einzelne Wörter oder sehr kurze Auszüge einer Presseveröffentlichung“ genutzt. Das entspricht zun chst den Vorgaben des Art. 15 der DSM-Richtlinie, die sich auch so in § 87g Abs. 2 DiskE des BMJV wiederfinden. Was dann aber im dritten Absatz desselben Paragraphen folgt, sind eigene Weitungen und Formulierungen, die keine Grundlage in Art. 15 der DSM-Richtlinie haben.
Nach Aussage des BMJV sollen diese sogenannten Regelbeispiele der Konkretisierung der Vorschrift und als „Hilfe“ bei der Anwendung in der Praxis dienen. Danach sollen Überschriften, kleinformatige Vorschaubilder und Ton‑, Bild- oder Bild- und Tonfolgen bis zu einer Dauer von drei Sekunden (§ 87g Abs. 1 Nr. 1–3 DiskE) ohne Zustimmung der Presseverleger und ohne Lizenzzahlung genutzt werden können. Hier stellt sich nun die entscheidende Frage, ob diese „Konkretisierung“ durch das BMJV noch mit Wortlaut und Sinn des Art. 15 der Richtlinie zu vereinbaren ist – nur dann wäre sie nämlich noch zulässig und europarechtskonform. Hinsichtlich der Überschriften lautet die Antwort eindeutig NEIN. Denn die Mitgliedsstaaten haben im Rahmen der Verhandlungen im Rat qualitative Ansätze zur Definition der zu schützenden Presseinhalte ausdrücklich abgelehnt und es bewusst bei den quantitativen Kriterien der „einzelnen Wörter und sehr kurzen Auszüge“ belassen.
Wenn nun Überschriften pauschal vom Schutz durch das Leistungsschutzrecht ausgenommen werden, widerspricht das deutlich dem gesetzgeberischen Willen. Überschriften können natürlich länger sein als einzelne Wörter oder sehr kurze Auszüge – mit der Folge, dass sie den Inhalt des Artikels, auf den sie sich beziehen, vollständig substituieren. In der Praxis der Suchmaschinen und Newsaggregatoren wird dann die Überschrift ungekürzt angezeigt, ohne dass diese Dienste Entgelte für die dazugehörigen Inhalte an die Presseverleger zahlen müssten.
Dieses Ergebnis widerspricht Sinn und Zweck und dem Wortlaut des Art. 15 der DSM-Richtlinie. Diese stellt zusätzlich in Erwägungsgrund 58 folgende Auslegungsregel heraus: „Angesichts der umfassenden Kumulierung und Nutzung von Presseveröffentlichungen durch Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft ist es wichtig, dass der Ausschluss von sehr kurzen Abschnitten so interpretiert wird, dass die Wirksamkeit der in der vorliegenden Richtlinie festgelegten Rechte nicht beeinträchtigt wird“. Der Wille des europäischen Gesetzgebers ist also unzweifelhaft und sehr deutlich zu erkennen.
Nicht genug damit, dass die genannten Regelbeispiele das Schutzrecht der Presseverleger aushöhlen, man will darüber hinaus nach eigenem Bekunden sogar einen „Paradigmenwechsel“ erreichen – die Dinge seien nämlich „vom Sachverhalt her zu denken, das Recht habe sich der Technologie anzupassen“.
„Der Wille des europäischen Gesetzgebers ist unzweifelhaft und sehr deutlich zu erkennen.“
Nun ist nichts Ungewöhnliches daran, dass der Gesetzgeber der technischen Entwicklung folgt. Der Paradigmenwechsel liegt für die interessierten Kreise im BMJV vielmehr darin, mit Hilfe der erwähnten Regelbeispiele die lizenz- und damit kostenfreie Nutzung der Presseinhalte durch Suchmaschinen und vergleichbaren Dienste für die Zukunft abzusichern und gesetzlich festzuschreiben.
Deutlich in diese Richtung zielt auch der Vorschlag des BMJV, wonach das Vervielfältigungsrecht der Presseverleger bei der öffentlichen Zugänglichmachung durch Dienste der Informationsgesellschaft keine eigenständige Bedeutung haben soll (§ 87g Abs. 1 DiskE, sog. Akzessorietät). Im Ergebnis erlaubt dieser Ansatz Suchmaschinen u. a. das Kopieren der Presseinhalte ohne Lizenz, wenn dies von den Diensten im Zuge der Kommunikation über das Internet passiert.
„Der vom BMJV intendierte „Paradigmenwechsel“ zielt darauf, die Geschäftsmodelle der großen Digitalunternehmen abzusichern und entkernt gleichzeitig das Leistungsschutzrecht“
Dass dies keineswegs trivial, sondern gravierend ist, zeigt die Praxis, mit der die genannten Dienste den Index erstellen, der Grundlage für die Suche ist. Um hier valide Ergebnisse zu generieren, werden im Hintergrund die gesamten Inhalte der Presseverleger kopiert und zwischengespeichert, um dann bei Suchanfragen der Nutzer die entsprechend differenzierten Ergebnisse liefern zu können. Rechtlich gesehen ist dieses Kopieren und Speichern eine Vervielfältigung, die als Verwertungsrecht den Presseverlegern vorbehalten ist und von diesen gegen Zahlung eines Lizenzentgelts erlaubt werden kann. Der Vorschlag des BMJV in § 87g Abs. 1 nimmt den Presseverlegern aber auch dieses Recht.
Fazit
Der vom BMJV intendierte „Paradigmenwechsel“ zielt darauf, die Geschäftsmodelle der großen Digitalunternehmen abzusichern und entkernt gleichzeitig das Leistungsschutzrecht, das der europäische Gesetzgeber den Presseverlegern zuerkannt hat. Dies verstößt eindeutig gegen die Vorgaben der Richtlinie und ist europarechtswidrig. Beim angekündigten Referentenentwurf sollte das vom BMJV unbedingt berücksichtigt und
geändert werden.
Der Namensbeitrag von Dr. Joachim Jobi ist auf medienpolitik.net — Debatten aus Medien- und Netzpolitik, 19. Februar 2020 erschienen und kann unter dem unten stehenden Link abgerufen werden.