Ein Etappensieg der freien Presse und der Demokratie
Schluss mit dem Datenklau im Internet: Stimmt das EU-Parlament zu, müssen Datenkonzerne wie Google Verlegern und Journalisten künftig Lizenzgebühren dafür zahlen, dass sie ihre Texte verbreiten. Verklagt worden war Google von der VG Media. Ihr Geschäftsführer erklärt, warum dieses neue EU-Urheberrecht schon längst überfällig sei
Am 6. Mai 2015 stellte der EU-Kommissar Günther Oettinger seine Anregungen für den digitalen Binnenmarkt vor. Dazu gehöre, so Oettinger damals, dem deutschen Vorbild folgend, unter anderem der Erlass eines europäischen Leistungsschutzrechtes für Presseverleger. In den darauffolgenden 46 Monaten wurde agitiert, appelliert, abgelenkt und gelogen. Manchmal erhielten die EU- Parlamentarier an einem Tag 71239 automatisch generierte, elektronische Nachrichten gegen den Erlass des Rechts. Fast immer ging es um Großes, um die „Zerstörung des freien Internets“. Immer wollten Google, Facebook und die anderen nur das Beste für ihre Nutzer, den Journalismus, die Verleger und vor allem die Demokratie. Leser sollten doch nur ihre Zeitungen finden. Google helfe ihnen über den digitalen Zebrastreifen, in all dem Verkehr und ganz umsonst. Selbst unsere Kinder wurden von der Google Tochter YouTube, dem ach so kreativen Spielzeug, gegen die Urheberrechtsreform in Stellung gebracht.
Erst spät und nur in wenigen Fällen wurde wahrhaftig, diskursiv, gerungen, etwa ob die Gewährung eines Immaterialgüterrechts für elektronische Presseverleger ein geeignetes Mittel der Presseverleger in der Auseinandersetzung mit Google, Facebook und weiteren trittbrettfahrenden Aggregationsdiensten sein kann, oder ob das Kartellrecht nun „ran“ muss, weil kein Restwettbewerb besteht. Weil Markteintrittsschranken wegen der Akkumulation der Riesendatenmengen – und dazu in kapillarer Qualität – so hoch sind, dass kein Unternehmen, ob alt oder „startend“, Wettbewerb auslösen kann.
Noch fehlt der Segen des EU-Parlaments
Nun könnte das alles bald vorbei sein: Der Europäische Rat, die EU-Kommission und das Europäische Parlament haben sich darauf verständigt, dass die Presseverleger ein Leistungsschutzrecht erhalten, die Zustimmung des Europäischen Parlaments im März oder spätestens April 2019 vorausgesetzt. Auch ein Anspruch der Journalisten auf eine angemessene Vergütung für die Nutzung ihrer Rechte durch Suchmaschinenbetreiber und andere Dienste soll gewährt werden. Kommt das neue europäische Leistungsschutzrecht für Presseverleger, werden die EU-Mitgliedsstaaten bis 2021 verpflichtet sein, das Recht in nationale Ordnungen zu transformieren. Google, Facebook und andere Dienste haben spätestens dann überall in der EU zu zahlen, soweit sie weiterhin digitale Presseerzeugnisse in der Liste ihrer Suchergebnisse aufführen und auf diese Weise das Leistungsschutzrecht der Presseverleger sowie die Urheberrechte der Journalisten verwerten.
Wie eine solche Zahlung aussehen kann, zeigt der Blick von Brüssel nach Osten: Das deutsche Presseleistungsschutzrecht vom 1. August 2013 ist Pate des europäischen. Die deutschen Presseverleger klagen auf dieser Grundlage bereits seit 2014 gegen die Google Inc. mit Sitz im kalifornischen Mountainview. Die Auseinandersetzung ist das Vorhutgefecht, mit prägenden Wirkungen für alle europäischen Rechteinhaber. Allein die Zustellung der Klage in Kalifornien hatte Monate gedauert. Die deutschen Verleger verlangen, würden sich alle deutschen Herausgeber von Presseerzeugnissen der Klage anschließen, für die Nutzung der Leistungsschutzrechte und die Ansprüche der Journalisten nicht weniger als 11 Prozent des Jahresumsatzes aus dem Betrieb der Suchmaschine der Google Inc. in Deutschland. Google Inc. bilanziert die Deutschland-Umsätze aber gar nicht in Deutschland, sondern über die Google Ireland Ltd. mit Sitz in Dublin. Daher haben die deutschen Presseverleger auch auf Auskunft der Umsätze aus Deutschland geklagt.
Google droht eine Nachzahlung in Milliardenhöhe
Unterstellt man Google-Umsätze aus Deutschland von 2013 bis 2019 in Höhe von 5 bis 9 Milliarden Euro pro Jahr, hätte die Google Inc. für die Nutzung der Rechte der deutschen Presseverleger und Journalisten seit August 2013 bereits Milliarden nur an deutsche Presseverleger und Journalisten nachzuzahlen. Dieses Geld bliebe nicht bei der für die Presseverleger klagenden VG Media GmbH, sondern flösse an alle klagenden Presseverleger und von dort, in einem auszuhandelnden Umfang, auch an die Journalisten. Das Landgericht Berlin hat bereits erklärt, die Ansprüche der deutschen Presseverleger seien „mindestens in Teilen begründet“. Es ist also nicht phantastisch, sondern denkbar, wenn nicht sogar überwiegend wahrscheinlich.
Ein Eigentumsrecht leistet natürlich einen Beitrag, Presse, recherchierte und differenzierte Inhalte zu erhalten. Ein Eigentumsrecht schützt vor unentgeltlicher, ungefragter Übernahme der eigenen Leistungen durch fremde Digitalmonopolisten. Freie Presse bleibt finanzierbarer, die Möglichkeit zur Meinungsbildung, dem „Klebstoff unserer Gesellschaft“, ist wahrscheinlicher. Die Zahlungen wären der materialisierte Beleg dafür, dass Eigentumsrechte auch im Netz gelten. Der verständliche Eindruck vieler, es gebe eine analoge Rechtsordnung für alle und eine digitale Ordnung, die allein dem technischen Imperativ Googles, Facebooks oder Apples folge, würde nicht weiter verstärkt.
Keine Freiheit ohne Recht – nicht das Größte vielleicht für die wenigen Gesellschafter Googles oder Facebooks, aber für die Mehrheit: kein schlechtes Ergebnis für die Demokratie!
Der Gastbeitrag von Markus Runde ist auf cicero.de – Magazin für politische Kultur, 15. Februar 2019 erschienen und kann unter dem unten stehenden Link abgerufen werden.