EuGH Generalanwalt: Bundesregierung hat 2013 Notifizierung des Presseverlegerrechts versäumt
Richter an Generalanwalt nicht gebunden – Urteil erstes Halbjahr 2019
Soeben hat der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof (EuGH), Gerard Hogan, in Luxemburg seine Schlussanträge in dem Verfahren VG Media ./. Google Inc. zur Notifizierungspflicht der Bundesregierung, bezogen auf das deutsche Presseleistungsschutzrecht, vorgestellt. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die deutschen §§ 87f ff. Urheberrechtsgesetz im Jahr 2013 in einem formalen Informationsverfahren der Bundesregierung gegenüber der EU-Kommission hätten notifiziert werden müssen. Die Rechtsfolgen der unterlassenen Notifizierung lässt der Generalanwalt offen. Anders als von Google bestritten, betont der Generalanwalt ausdrücklich die Bedeutung der „freien und lebendigen Presse als Teil des Lebenssaftes der Demokratie (…). Es ist völlig unrealistisch, einen Journalismus von hoher Qualität und Vielfalt zu erwarten, der sich an die höchsten Standards der Medienethik und des Respekts vor der Wahrheit halte, wenn Zeitungen und andere Pressekanäle nicht über einen nachhaltigen Einkommensstrom verfügen“, so Generalanwalt Gerard Hogan (Rz. 42).
Die Aufsichtsräte der VG Media, Christian DuMont Schütte, Aufsichtsratsvorsitzender der DuMont Mediengruppe GmbH & Co. KG, und Dr. Eduard Hüffer, Geschäftsführer der Aschendorff Medien GmbH & Co. KG, erklären:
„Als erstes europäisches Land hat Deutschland 2013 ein Presseleistungsschutzrecht eingeführt. Diese Grundsatzentscheidung des Deutschen Bundestages ist mehr denn je von großer Weitsicht getragen: Heute, rund fünf Jahre später, beraten die Europäischen Institutionen über die verbindliche Einführung eines solchen Rechts in allen Mitgliedsstaaten. Dies zeigt, wie wichtig eine eigene und starke Rechtsposition der Presseverleger gegenüber den Digitalmonopolen ist. Meinungspluralität ist eine notwendige Voraussetzung unserer demokratischen Ordnung. Das Presseleistungsschutz-recht sichert die wirtschaftliche Grundlage einer vielfältigen Presselandschaft. Eben dies bestätigt der Generalanwalt.
Die Presseverleger haben bis heute in einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld gemeinsam mehrere Millionen Euro an Prozess- und Rechtsberatungskosten investiert, um ein ihnen vom deutschen Gesetzgeber erstmalig gewährtes Recht gegen einen Digitalmonopolisten durchzusetzen. Das Landgericht Berlin hat den Anspruch bereits im Mai 2017 dem Grunde nach anerkannt. Dies stellt auch der Generalanwalt nicht in Frage. Es wäre höchst bedauerlich, wenn ein formelles Versäumnis der Bundesregierung dazu führen würde, dass diese großen und vor allem aktuellen Anstrengungen vergeblich waren. Das unterlassene Versenden eines einfachen Informationsschreibens hätte zur Folge, dass die jahrelangen Bemühungen, Digitalkonzerne in staatliche Rechtsordnungen einzuhegen, mit einem Schlag zunichte gemacht würden. Umso wichtiger ist es, dass die Bundesregierung uns weiterhin unterstützt.“
Die Geschäftsführer der VG Media, Markus Runde und Dr. Stefan Heck, kommentierten die Entscheidung wie folgt:
„In der mündlichen Verhandlung vor dem EuGH hat der Vertreter der Bundesregierung dargelegt, warum eine Notifizierungspflicht des deutschen Gesetzes gegenüber der Europäischen Kommission nicht bestand. Die Kommission selbst hat sich dieser Beurteilung im Verfahren vor dem EuGH angeschlossen. Wir bedauern sehr, dass der Generalanwalt der Argumentation nicht gefolgt ist. Die endgültige Entscheidung über den Fortbestand des deutschen Presseleistungsschutzrechts obliegt nun dem EuGH. Wir sind sicher, dass die Richter die Argumente gründlich abwägen werden. Wegen der Bemühungen des EU-Parlaments, ‑Rates und der ‑Kommission um ein Verlegerrecht wäre ein ungewöhnliches Szenario denkbar: Das nationale Presseverlegerrecht könnte wegen Verstoßes gegen formales EU-Recht für unanwendbar erklärt werden. Fast gleichzeitig wird der deutsche Gesetzgeber, wiederum aufgrund EU-Rechts, verpflichtet, ein nahezu identisches Verlegerrecht einzuführen.“
Hintergrund
Im Jahr 2013 hat der Deutsche Bundestag ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger beschlossen. Daraufhin haben zahlreiche Verlage ihre digitalen Angebote in die Verwertungsgesellschaft VG Media eingebracht, um ihre Ansprüche gemeinsam gegenüber Suchmaschinen und News-Aggregatoren durchzusetzen.
Die in der VG Media organisierten Presseverleger führen seit 2014 verschiedene gerichtliche Verfahren zur Durchsetzung ihres Auskunfts- und Zahlungsanspruchs gegenüber Google Inc. Das Landgericht Berlin hatte hierzu im Mai 2017 entschieden, dass der Anspruch der Verleger mindestens teilweise begründet ist, das Verfahren aber auf Anregung von Google ausgesetzt und dem EuGH vorgelegt. Der EuGH (Az. C‑299/17) muss nunmehr entscheiden, ob die deutsche Bundesregierung das Gesetz seinerzeit gegenüber der Europäischen Kommission hätte notifizieren müssen. Sollte die Bundesregierung diese Notifizierung europarechtswidrig unterlassen haben, kann dies unter Umständen zur Unwirksamkeit des deutschen Gesetzes führen.
In der mündlichen Verhandlung vor dem EuGH am 24. Oktober 2018 haben die Bundesregierung und die Europäische Kommission übereinstimmend dargelegt, weshalb eine Notifizierungspflicht nicht bestand. In Verfahren vor dem EuGH werden die Richter von sogenannten Generalanwälten unterstützt. Mit ihren Schlussanträgen bereiten sie die Entscheidungsfindung der Kammer vor. Die Richter sind an die Empfehlungen der Generalanwälte nicht gebunden, folgen ihnen aber in der Mehrzahl der Fälle.
Die VG Media ist die Verwertungsgesellschaft der privaten Sendeunternehmen und Presseverleger mit Sitz in Berlin. Sie vertritt die Urheber- und Leistungsschutzrechte nahezu aller deutschen und mehrerer internationaler privater Radio- und Fernsehsender sowie rund 200 digitale verlegerische Angebote bedeutender Verlagshäuser.