EuGH-Urteil ist sachlich überholt
Warum die Bundesregierung das Leistungsschutzrecht für Presseverleger schnell umsetzen sollte Ein Beitrag von Dr. Joachim Jobi, Leiter Politik bei der VG Media
Gestern hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Rechtsstreit der VG Media gegen die Google LLC Recht gesprochen. Damit kommt ein seit 2014 laufender Rechtsstreit zu einem nur vorläufigen Ende. Denn Gegenstand der Entscheidung des EuGH ist nicht die Frage, ob die von der VG Media geltend gemachten Ansprüche der deutschen Presseverleger gegen Google begründet sind – dies hatte das Landgericht Berlin bereits in seinem Vorlagebeschluss 2017 teilweise anerkannt. In dem Rechtsstreit ging es vielmehr um die formale Frage, ob das deutsche Presseleistungsschutzrecht (§§ 87 f ff UrhG) der Europäischen Kommission gegenüber h tte notifiziert werden müssen. Entgegen der Einschätzung von Bundesregierung, Europäischer Kommission und anderer EU-Mitgliedstaaten hatte Google dies im Verfahren behauptet. Der EuGH ist nun dieser Auffassung gefolgt. Die Entscheidung ist vor allem aus einem wichtigen Grund problematisch. Der europäische Gesetzgeber hat inzwischen im April 2019 nämlich ein eigenes Leistungsschutzrecht beschlossen, das inhaltlich über die deutsche Regelung noch hinausgeht. Mit der Folge, dass das nun vorliegende Urteil des EuGH sachlich überholt ist. Und es ist sehr gewagt anzunehmen, die §§ 87 f ff UrhG würden entgegen der klar formulierten Absicht des Gesetzgebers Vorgaben für das technische Ausspielen von Diensten wie Google News oder Search machen.
Es ist also keineswegs so, dass die Bundesregierung das bereits 2013 in Kraft getretene Leistungsschutzrecht für Presseverleger mit der Verabschiedung der DSM-Richtlinie durch den europäischen Gesetzgeber (RL 2019/790) „kurzerhand auf europ ische Ebene gehoben“ hat, wie Tabea Rößner an dieser Stelle schrieb (Beitrag vom 20. August 2019). Aus heutiger Sicht war die Einführung des PLSR in Deutschland ein entscheidender und auch gesellschaftspolitisch wichtiger Schritt, mit dem sich der Gesetzgeber bewusst gegen das rip-off und die free-rider-Geschäftsmodelle von Google, Facebook & Co. gestellt hat. Das wiederum hat sehr wohl auch den Europäischen Gesetzgeber motiviert, für einen wirksameren Schutz von urheberrechtlich geschützten Inhalten einzutreten. Es war hööchste Zeit, sich des Problems anzunehmen – denn das Verhalten der Digitalmonopolisten hat in der gesamten EU und darüber hinaus sehr negative Auswirkungen. Die Entscheidung des EuGH unterstreicht noch einmal die Dringlichkeit dieser Angelegenheit. Die Bundesregierung sollte nun die Umsetzung des europäischen Presseleistungsschutzrechts vorziehen und es schnell umsetzen – Frankreich hat dies schon getan, und nach der Entscheidung des EuGH ist die Angelegenheit mehr als dringend.
Wesentliche Forderungen zu Art. 15 der DSM-Richtlinie
Rechtspolitisch war vor diesem Hintergrund die Einführung des Presseleistungsschutzrechts in Deutschland bereits 2013 sehr vorausschauend. Und man kann mit gutem Grund annehmen, dass die Regelungen in §§ 87 f ff UrhG hier durchaus eine solide Grund- und Vorlage für die Regelung des Art. 15 DSM-RL war. Diese Regelung sieht nun ausdrücklich ein Leistungsschutzrecht zu Gunsten der Presseverleger vor, das nicht nur die Dienste wie Google News oder Google Search erfasst, sondern alle Dienste der Informationsgesellschaft verpflichtet, für die Nutzung der Presseinhalte der Verleger auch angemessen zu zahlen. Im Ergebnis ist Art. 15 ein richtiger und auch überfälliger Schritt, mit dem die demokratiekonstitutive Leistung von Presseverlegern in der gesamten EU anerkannt und geschützt werden soll. Wie jedoch die besondere praktische Erfahrung der VG Media mit der Wahrnehmung und der gerichtlichen Durchsetzung der deutschen Regelungen zeigt, ist dieser Schritt im Konflikt mit marktübermächtige, international aufgestellte Digitalmonopolisten auf Verwerterseite nicht ausreichend.
Diese von der Kommission in ihrem Impact Assessment v. 14.6.2016 (SWD(2016) 301 final, S. 155 ff.) beschriebene Lage der Presseverleger hat sich inzwischen nicht verbessert. Im Gegenteil, sie ist heute bedrohlicher, als sie es vorher jemals war. Das Bedürfnis nach effektivem Schutz des Journalismus und damit der Presseverleger ist noch gestiegen und hochaktuell. Der deutsche Gesetzgeber sollte daher – ebenso wie die anderen EU-Mitgliedsstaaten – die gegebene Umsetzungsfrist von zwei Jahren bis Juni 2021 (Art. 29 Abs. 1 DSM-RL) auf keinen Fall ausschöpfen, sondern entschieden früher die Umsetzung bewerkstelligen. Als Vorbild kann Frankreich gelten, das bereits Ende Juli 2019 die Vorgaben des Art. 15 DSM-RL in nationales Recht umgesetzt hat. Ein effektiver Urheberrechts- und Leistungsschutz muss im Hinblick auf die besonderen wirtschaftlichen und technischen Machtverhältnisse im digitalen Umfeld daher aus zwei Komponenten bestehen: Urheberrecht und, flankierend, Kartellrecht. Bei der Umsetzung der Vorgaben des Art. 15 DSM-RL und der grundrechtlich geleiteten Ausfüllung von Umsetzungsspielräumen sind beide Komponenten zu berücksichtigen.
Zunächst aber zu Art. 15 DSM-RL, denn besonders hier lohnt sich ein genauer Vergleich mit dem deutschen Presseleistungsschutzrecht nach § 87 f ff UrhG. Kurz gesagt sind die Priorit ten bei der Umsetzung der Vorschrift folgende:
- Im Hinblick auf den sachlichen Anwendungsbereich sollten die in der DSM-RL und in § 87 f Abs. 2 UrhG enthaltenen Definitionen des Presseerzeugnisses angeglichen werden. Dazu sollte die in Art. 2 Nr. 4 DSM-RL definierte „Presseveröffentlichung“ in § 87 f Abs. 2 UrhG überführt werden, wobei man zur terminologischen Klarheit der Definition „Schriftwerke“ an die Stelle der „literarischen Werke“ setzen sollte.
- Persönlicher Anwendungsbereich – nach Art. 15 Abs. 1 DSM-RL ist Träger der Rechte der Vervielfältigung und öffentliche Zugänglichmachung in Bezug auf Presseveröffentlichungen jeder Presseverlag mit Sitz in einem EU-Mitgliedsstaat. Diese Vorgabe, ergänzt durch den Hinweis auf Presseverleger mit Sitz in einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, sollte in Teil 5, Abschnitt 1, Unterabschnitt 2 des UrhG umgesetzt werden.
- Abgrenzung zur Ausnahme für Text- und Data-Mining gem. Art. 4 DSM-RL. Hier gilt es klarzustellen, dass Ausnahmen vom Vervielfältigungsrecht zum Zwecke des Text und Data Mining für den Anbieter eines Dienstes der Informationsgesellschaft von vornherein nicht gelten. Nach Art. 2 Nr. 2 DSM-RL setzt ein „Text und Data Mining“ nämlich voraus, dass die (erlaubten) Vervielfältigungen (nur) für die Analyse von Texten und Daten verwendet werden (dürfen).
- Klarstellung der Ausnahmen – Die Formulierungen „einzelne Wörter“ und „sehr kurze Auszüge“ sind nämlich sprachliche Varianten und Elemente ein und desselben Ausnahmetatbestandes. Für die Bestimmung ihrer Reichweite ist deshalb unter Berücksichtigung von Erwägungsgrund 58 ein einheitlicher Maßstab zu bilden. Die Formulierungen sind daher als absolutes Textminimum zu verstehen.
Kartellrechtliche Flankierung notwendig
Wie auch von der Europäischen Kommission bereits festgestellt, haben Netzwerkeffekte und eine fast vollständig fehlende Regulierung in den letzten Jahren dazu geführt, dass einzelne Digitalkonzerne eine solche Markt- und Verhandlungsmacht entwickelt haben, die bisher bekannte Dimensionen sprengen. Sie sind im eigentlichen Wortsinn Digitalmonoplisten geworden, die mit ihrem direkten Zugang zum Endkunden eine essentielle Infrastruktur kontrollieren. Dies versetzt sie in die Lage, Vertragsbedingungen zu diktieren. Im Markt für Suchmaschinen hat zum Beispiel Google nicht nur Rechteinhabern, sondern auch einer Verwertungsgesellschaft wie der VG Media (nicht weniger als bei der GEMA im Fall „Youtube“) gezwungen, Konditionen zu akzeptieren, welche den urheberrechtlich vorgesehenen Grundsatz der angemessenen Vergütung ins Leere laufen lassen.
Im Ergebnis hat Google gestandene Presseverleger zum Verzicht auf ihre gesetzlich anerkannten Rechtspositionen gezwungen. Dies ist schon 2014 in Deutschland passiert, als Google kostenlose Lizenzen für die Nutzung von Presseinhalten erzwungen hat. Grundlegend hat sich daran aber auch mit der Verabschiedung der DSM-Richtlinie nichts geändert – und was erschwerend wirkt, offensichtlich auch nicht an der Haltung von Google. Vertreter von Google erklären nämlich auch 2019 öffentlich, auch nach der Umsetzung der DSM-Richtlinie und des darin enthaltenen Leistungsschutzrechts nicht für Presseinhalte an die Verleger zahlen zu wollen. Dies würde eine angemessene Beteiligung von Verlegern und Journalisten erneut ins Leere laufen lassen – und dies ist jedenfalls kein Zustand, den der Gesetzgeber in Deutschland und in der gesamten EU unwidersprochen hinnehmen sollte. Dies sollten daher bei der Umsetzung der DSM-Richtlinie bedacht werden, denn an den Machtverhältnissen im Markt hat sich nichts Grundlegendes geändert. Und Google wird auch in Zukunft seine Marktmacht nutzen – zu Lasten der Presseverleger und ebenso der Journalisten.
Kollektive Lizenzvergabe nach Art. 12 DSM-RL ermöglichen
Artikel 12 sieht die Möglichkeit vor, eine sogenannte „Kollektive Lizenzvergabe mit erweiterter Wirkung“ zu schaffen. Bei der Umsetzung der Richtlinie können die Mitgliedstaaten danach den Verwertungsgesellschaften das Recht zuerkennen, im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten Nutzungsrechte auch für solche Werke und Schutzgegenstände einzuräumen, für die die Rechteinhaber der Verwertungsgesellschaft noch kein Mandat zur Rechtewahrnehmung erteilt haben.
Urheberrechtlich gesprochen handelt es sich dabei um die sogenannte „Außenseiterregelung“. Diese hat sich besonders in Situationen bewährt, in denen es um die massenhafte Nutzung von Werken oder anderen Schutzgegenständen geht, wofür wiederum eine Vielzahl gleichartiger Lizenzen von sehr vielen Rechteinhabern erworben werden müssen. Gleichzeitig werden die Interessen derjenigen Rechteinhaber, deren Rechte auf diese Weise von einer Verwertungsgesellschaft wahrgenommen werden, durch die zwingende und jederzeit gegebene Möglichkeit zum Widerspruch (Opt-out) gewahrt. Insgesamt werden bei dieser Art der Rechteverwertung die Transaktionskosten für den einzelnen Rechteinhaber gesenkt und die Vergabe von Rechten an großen Portfolios ermöglicht.
Diese Regelung trägt also den Interessen der Urheber wie der Verwerter gleichermaßen Rechnung und führt zu mehr Rechtssicherheit. Und Art. 12 stellt auch sicher, dass diejenigen Urheber, die eine Wahrnehmung ihrer Rechte durch Verwertungsgesellschaften – aus welchen Gründen auch immer – nicht wollen, dies durch ein einfaches „Nein“ für die Zukunft unterbinden können. Im Ergebnis ist dies eine ausgewogene Regelung, die den Interessen von Urhebern und Verwertern an der Monetarisierung der Inhalte Rechnung trägt und gleichzeitig keinen der Beteiligten bevormundet. Mit anderen Worten eine klassische win-win-Situation, die der deutsche Gesetzgeber auch so umsetzen sollte.
Der Namensbeitrag von Dr. Joachim Jobi ist auf medienpolitik.net — Debatten aus Medien- und Netzpolitik, 13. September 2019 erschienen und kann unter dem unten stehenden Link abgerufen werden.