Politik für eine freie Presse – oder für Google und Facebook?
Das Ziel des Medienstaatsvertrages, Intermediäre einer Regulierung zu unterwerfen, droht durch die Entwurfsbegründung in ihr Gegenteil verkehrt zu werden.
Inzwischen ist es ein Gemeinplatz: Die wirtschaftliche Lage der Presse hat sich im Zuge der Digitalisierung dramatisch verschlechtert. Dies liegt auch daran, dass die Online-Geschäftsmodelle der Presseverleger von marktmächtigen Online-Plattformen behindert werden, die Inhalte der Presseverleger nutzen, ohne dafür eine angemessene Vergütung zu zahlen. Von Seiten der Politik fehlt es nicht an Lippenbekenntnissen zur Bedeutung der Presse für die demokratische Meinungsbildung. Wenn es aber um konkrete gesetzgeberische Maßnahmen geht, bleiben diese Bekenntnisse leider oft ohne Folgen. Es drängt sich im Gegenteil der Eindruck auf, dass auf Bundes- und Landesebene Politik nicht zum Schutz der Presse, sondern im Interesse von Google und Facebook gemacht wird.
Ein gutes Beispiel dafür ist der im Januar 2020 veröffentlichte „Diskussionsentwurf“ des BMJV zur Schaffung eines neuen Leistungsschutzrechts für Presseverleger. Statt das europarechtlich vorgegebene Recht konsequent umzusetzen, entkernt der Entwurf das Presseleistungsschutzrecht bis zur praktischen Irrelevanz. Und als wäre den Interessen von Google und Facebook damit noch nicht genug gedient, erklärt die Entwurfsbegründung, dass Vergütungsansprüche der Verleger ohnehin nicht in Betracht kämen, soweit diese ihre Webangebote suchmaschinenoptimiert programmierten. Auch mit rudimentären Kenntnissen der digitalen Medienökonomie ist offensichtlich, dass dies auf sämtliche digitale Presseerzeugnisse zutrifft – denn die Presseverleger können für ihre Digitalangebote auf den über Google vermittelten Traffic schlicht nicht verzichten.
Bei so viel Chuzpe der bundespolitischen Kollegen wollten die Landespolitiker wohl nicht zurückstehen. Anders lässt sich die jüngst veröffentliche Begründung zum neuen Medienstaatsvertrag nicht erklären. Der Ansatz, marktmächtige Online-Intermediäre wie Google und Facebook wegen ihrer Gatekeeper-Funktion für die Informationsverbreitung im Internet einer besonderen Regulierung zu unterwerfen, droht durch eine lapidare Formulierung in der Entwurfsbegründung in ihr Gegenteil verkehrt zu werden.
Nach dem Begründungsentwurf soll die eigentlich verbotene Ungleichbehandlung verschiedener Inhalte-Anbieter nämlich sachlich gerechtfertigt sein, soweit der Intermediär bestimmte Inhalte „aufgrund urheber- bzw. leistungsschutzrechtlicher Regelungen nicht vergütungsfrei anzeigen darf“. Damit wird ein Verhalten für rechtmäßig erklärt, das Google in Deutschland und Europa schon gezielt eingesetzt hat, um Gratis-Einwilligungen für die rechtlich geschützten Inhalte der Presseverleger zu erzwingen. Dies Verhalten ist Gegenstand aktueller kartellrechtlicher Missbrauchsbeschwerden bei der Europäischen Kommission und der französischen Wettbewerbsbehörde.
„Wenn die Politik ihre Bekenntnisse zur demokratischen Bedeutung der Presse ernst meint, muss sie endlich Farbe bekennen.“
Ähnlich wie beim „Diskussionsentwurf“ des BMJV wird die Zielrichtung der neuen medienrechtlichen Regulierung mit einem Federstrich in ihr Gegenteil verkehrt: Statt die Position der Inhalte-Anbieter gegenüber Google und Facebook zu stärken, werden deren Geschäftspraktiken zu Lasten der Inhalte-Anbieter zusätzlich rechtlich abgesichert und die Durchsetzbarkeit von Urheber- und Leistungsschutzrechten gravierend geschwächt. Dass eine solche Regelung europarechtlichen Vorgaben widerspricht und mit der vorrangigen Gesetzgebungskompetenz des Bundes zum Wettbewerbs- und Kartellrecht unvereinbar ist, wird nicht gesehen oder einfach ignoriert. Dieses ohnehin unschöne Bild der deutschen Medienpolitik bekommt einen düsteren Anstrich durch den Umstand, dass die fragliche Formulierung unter Federführung Hamburgs in den Begründungsentwurf gekommen ist – wo die deutschen Niederlassungen von Google und Facebook ihren Sitz haben.
Mit einer solchen Politik können die wirtschaftlichen Grundlagen für eine freie Presse in der digitalen Welt nicht gewährleistet werden. Wenn die Politik ihre Bekenntnisse zur demokratischen Bedeutung der Presse ernst meint, muss sie endlich Farbe bekennen. Eine freie Presse kann es nur auf wirtschaftlich stabiler Grundlage geben. Und dazu gehört der konsequente Schutz der Inhalte-Anbieter vor ausbeuterischen Geschäftsmodellen marktmächtiger Online-Plattformen. Den Konflikt mit Google und Facebook darf eine solche Politik freilich nicht scheuen.
Der Namensbeitrag von Dr. Harm-Randolf Döpkens ist auf medienpolitik.net — Debatten aus Medien- und Netzpolitik, 04. März 2020 erschienen und kann unter dem unten stehenden Link abgerufen werden.